Zeitreise nach 1605

 

 

Zeitreisen sind derzeit sehr in Mode. Da ist es kein Wunder, dass ich am letzten Donnerstag einen kurzen Trip ins Jahr 1605 unternahm. Zu meinem Spitzenahn Michael Reichel. Leider nur eine Stunde, denn zu mehr reichte die Energie nicht.

 

Ich saß eben noch vor meinen Ahnen am Computer und in der nächsten Sekunde auf einem vollen Mehlsack in einer Mühle. Um mich herum standen zwei Männer in staubigen Arbeitskleidern, ein verlot­tertes Frauenzimmer und ein Pfarrer. Sie redeten in einem Dialekt auf­geregt durcheinander. Nur der Pfarrer steuerte lateinische Sprüche bei.

 

„Wie komme ich denn hierher?“ fragte ich.

 

„Na wir wundern uns auch,“ sagte einer der Männer, „denn eben warst Du noch nicht da. Da steckt bestimmt der Teufel dahinter.“ Doch der Pfarrer wiegelte ab, nein, nein, doch nicht in seiner Gegenwart. „Mein Sohn“, sagte der Pfarrer, berichte uns doch zunächst, woher Du kommst und wer Du bist!“

 

„Ich bin der Erich Reichl, 1936 geboren und evangelisch getauft.“ „Evangelisch, warum denn evangelisch,“ sagte der Pfarrer und er müsse jetzt auch wieder in seine Kirche.

 

„1936 willst Du geboren sein, und wir haben doch erst 1605. Aber Reichel heiße ich auch, ich bin der Michael Reichel,“ sagte der ältere der beiden Männer.

 

„Dann bist Du der Michael Reichel aus Ladung, und wir sind hier in Deiner Mühle am Brucher Bach, und ich bin einer Deiner Nachkom­men.“ Die Drei schauten wie ein Auto. „Ja,“ sagte ich, „einer Deiner Söhne ist Johannes, der hat einen Hans, dann kommt Christian, Wil­helm ein Weißbäcker, Sigismund aus Ratschitz, dann ein Johann Ja­kob, ein Johannes Jacobus, wieder ein Johann Jakob, dreimal Josef und dann ich, Erich. – Aber warum war der Pfarrer hier, ist jemand krank oder gar verstorben?“

 

„Nein, Nein“, sagte Michael, „er hat mich nur wieder ins Gebet ge­nommen, weil ich diese Frau hier in der Mühle habe.“ Ich spende dann jedes Jahr für die neue Glocke. Dann habe ich wieder Ruhe vor ihm.“

 

„Und die Menschen in Ladung“, fragte ich, „was sagen die dazu?“

 

„Weißt Du“, sagte Michael, „wir Müller haben es schwer. Den Men­schen sind wir unheimlich, aber sie brauchen uns. Wenn die Bauern schlafen, wird bei uns noch gearbeitet, denn wir müssen fertig werden. Aber es wird auch gesungen, getanzt und gelacht. Dann kommen Men­schen von weit her, die keiner kennt. Die Dorfbewohner glauben, das sind alles Halunken und Diebe oder gar der Teufel selbst. Mit uns Müllern wollen sie nichts zu tun haben, und in der Gaststätte müssen wir uns an einen getrennten Tisch setzen.“

 

„Aber Ihr Müller hört viel,“ sagte ich, „und Ihr wisst früher, was in der Welt geschieht als andere.“

 

„Ja“, sagte Michael, „aber es wird auch viel Unsinn erzählt. Neulich erzählte ein Lehrer, dass sich die Erde um die Sonne dreht, wo doch jedes Kind weiß, dass die Sonne morgens kommt und abends wieder geht.“

 

„Dem Lehrer kannst Du beruhigt glauben“, erwiderte ich, „denn schon 1543 hat ein gewisser Kopernikus nachgewiesen, dass sich die Erde in 24 Stunden um sich selbst dreht und in einem Jahr die Sonne umrundet.“

 

„Aber eine Zigeunerin hat ihre Karten aufgeschlagen“, sagte Michael „und einen langen Krieg kommen gesehen, der dreißig Jahre dauern soll.“

 

Ehe mir so richtig klar war, dass ich jetzt wohl lieber meinen Mund halte, saß ich wieder vor meinem Computer mit der Seite von Michael Reichel. Und ich ärgerte mich mächtig: „Ich will ein Ah­nenforscher sein! Nach seinem Geburtstag und seinen Eltern und Großeltern hätte ich den Michael doch unbedingt fragen müssen!“

Zum Schluss noch ein Limerick:

 

Ein Ahnenforscher aus Buchen

Will nachts immer Vorfahren suchen.

Doch seine Frau Nette

Will lieber ins Bette.

Sie könnte das Suchen verfluchen.